Zurück zu den Wurzeln am Schwendermarkt? Ein Beitrag von 2013



(Hierbei handelt es sich um einen Beitrag des alten Blogs meinraumdeinraum.com)
  
Zurück zu den Wurzeln am Schwendermarkt?

AutorInnen: Carola Hesse BSc. und Inga Maria Besener, Wien, 2013

Untersuchungsgebiet in diesem Bericht ist der sogenannte Schwendermarkt im 15. Wiener Gemeindebezirk. Heute blickt der Markt auf eine über 150 Jahre währende und bewegte Geschichte zurück.

(HESSE 2012)

Rudolfsheim-Fünfhaus, Wien
Rudolfsheim-Fünfhaus, der 15. Bezirk, liegt mit einer Fläche von rund 3,9 km2 im Westen Wiens.1 Er setzt sich aus den ehemaligen fünf Ortschaften Fünfhaus, Braunhirschen, Sechshaus, Reindorf und Rustendorf zusammen.2
Bis ins letzte Drittel des 18. Jahrhunderts wurde die Gegend vornehmlich zu landwirtschaftlichen Zwecken wie Gemüse- und Weinanbau genutzt.3 Die Bevölkerungsdichte auf der Gesamtfläche (pro km2) beträgt im Jahr 2011 für alle Altersgruppen 18.466,9.4 Anfang 2012 betrug der Anteil ausländischer Staatsangehöriger im Bezirk 34,9% 5 und die Bevölkerungszahl betrug in Summe 72.593 Personen, davon sind 47.247 österreichische und 25.346 ausländische Staatsangehörige.6 Nahezu der gesamte Bezirk ist dicht bebaut. Charakteristisch ist die geografische Zweiteilung des Bezirks, welche durch die Trassenanlage der Westbahn hervorgerufen wird.7 Unter anderem für die Bezirksteile Rustendorf, Braunhirschen, Fünf- und Sechshaus besteht wegen des hohen Anteils an überalteter Bausubstanz erhöhter Sanierungsbedarf. 8

Schwendermarkt 1833-1900
Offiziellen Bestand hat der Schwendermarkt seit Oktober 1833, wo per Regierungsdekret das tägliche Abhalten eines Viktualienmarktes gestattet wurde.9 Dies war für die Gemeinde von großer wirtschaftlicher Bedeutung. 1854 wurde der Markt im Zuge der Regulierung der Mariahilfer Straße umgestaltet. Zwei Zufahrtsrampen und eine Stützmauer wurden errichtet,10 da, wie noch heute, der Markt auf einem tieferen Niveau liegt, als die Mariahilfer Straße. Noch vor der Eingemeindung ins Stadtgebiet entwickelte sich der Markt durch seine günstige Lage vor der Verzehrsteuergrenze relativ schnell zu einem zentralen Umschlagplatz für Frischwaren.11
Bei den Marktständen dominierten zunächst transportable Varianten, was im Gegensatz zur später aufkommenden standfesten Bebauung, eine stärker ausgeprägte Freiheit und Flexibilität in Bezug auf die Organisation des Markts (in seiner Rolle als Ort des Handels aber auch in seiner Rolle als Freiraum und sozialem Zentrum) ermöglichte. Es ist davon auszugehen, dass die Grundversorgung der Bevölkerung mit den Produkten des täglichen Bedarfs über den Markt zu dieser Zeit gesichert gewesen ist.12 Neben dem handeltreibenden Gewerbe gab es eine große Anzahl handwerklicher Berufe, die zu einem kleinen Teil auch von Frauen ausgeübt wurden;13 Dienstleistungen spielten eine eher untergeordnete Rolle.14

Schwendermarkt 2012
Seit den Anfängen des Marktes sind etwa 180 Jahre vergangen. Damals florierte er, doch in der Gegenwart existieren nur noch wenige fixe Stände. Verschiedene, sich gegenseitig beeinflussende Ursachen, riefen eine Veränderung der Ansprüche und Bedürfnisse der Menschen hervor, d.h. auch im Hinblick auf die für das tägliche Leben benötigten Produkte. Ebenso änderte sich die Vielfalt der feilgebotenen Waren in den Ständen sowie in der angrenzenden Bebauung. Das Standbein Gastronomie gewinnt dafür immer mehr an Bedeutung.
Zwischen 2001 und 2004 erfolgte im Zuge der Errichtung eines neuen Wohngebäudes eine Generalsanierung des bis dahin für Jahrzehnte als unattraktiv geltenden Marktplatzes.15
Heute ist der Schwendermarkt laut Wiener Marktordnung ein ständiger Detailmarkt. Für diesen werden konkret die Marktplätze für vorrangige Zuweisungen definiert und gestattete Marktzeiten bekanntgegeben.16  Zu den zugelassenen Marktgegenständen gehören der Lebensmittelverkauf und die Gastronomie. Auf dem Schwendermarkt, d.h. im Bereich des ständigen Detailmarkts mit seinen standfesten Marktbauten, existieren heute noch neun gebaute Verkaufsstände. Bestandteil des Schwendermarktgebiets (ca. 1650 m2 Fläche) ist ein sogenannter Landparteienplatz. Auf diesem finden sich allgemein in Wien, meist freitags oder samstags, Anbieter (Landparteien), die ihre Produkte feilbieten.17

Forschungsfrage, These und IST-Zustand
Welche Strukturen weist der Markt im Jahr 2013 auf, die ihn als Ort des Handels, als Freiraum und somit als Ort des Zusammenkommens in eine qualitätsvolle Zukunft führen können und durch welche Maßnahmen könnte dies erforderlichen Falls initiiert werden?

Der Schwendermarkt als Ort der Versorgung kann die fußläufige Nahversorgung der angrenzend lebenden BewohnerInnen nicht mehr vollständig sichern. Als öffentlicher Raum wird er zunehmend privatisiert (räumlich wurde er bereits stark verkleinert), ebenso, und zum Teil damit einhergehend, zeichnet sich eine zunehmende Reglementierung ab, welche Handlungsfreiheiten zukünftig weiter einschränken könnte. Um aber Handlungsfreiheiten zu gewährleisten und ein soziales bürgerliches Engagement in Bezug auf den Fortbestand des Marktes – als Ort des Handels sowie als öffentlicher Freiraum und somit sozialen Zentrum – zu fördern, müssen entsprechende räumliche wie soziale Strukturen vorhanden sein, die das Aufkommen von Machtsphären an einem Ort unterbinden, der eigentlich frei von diesen sein sollte. Seine monetäre Quantifizierung würde ihn zur Ware, also zum Spekulationsobjekt machen. Er wäre der ihm innewohnenden Handlungsfreiheiten gänzlich beraubt.22
Märkte verlieren als ehemalige ökonomische Zentren der Städte18 ihre Bedeutung als Orte des Handels und als Bindeglied zwischen Stadt und Land.19 Der Detailmarktbereich des Schwendermarkts ist heute in einem desolaten Zustand. Die Bausubstanz wirkt trotz Revitalisierungsmaßnahmen (2001-2004), ungepflegt und die Geschäftslokale haben mit Ausnahme der Gastronomiebetriebe unzureichenden Zulauf.

Der durch einen Markt assoziierte soziale Zentrumscharakter spiegelte sich in jahrelangen Debatten um die Umgestaltung des Schwendermarkts zu einem zweiten Bezirkszentrum für den 15. Bezirk wider.37 Augenscheinlich konnten die bisherigen Umgestaltungen dies nicht verwirklichen. Die vorherrschende „soziale Ödnis”20 wird einzig durch wöchentliche Veranstaltungen in den warmen Monaten von „Samstag in der Stadt” gemildert, einer Initiative des Vereins „Kunst- und Kulturprojekt Samstag“, die versucht „Teilhabe an Inhalten und Infrastruktur anzubieten, das Zusammenleben und Zusammenarbeiten“21 zu gestalten und fördern. Am Landparteienplatz werden derzeit (Stand erste Hälfte 2012) nur von einem Händler einmal wöchentlich landwirtschaftliche Eigenerzeugnisse angeboten. Auf der sonst nutzungsoffenen Fläche mit reduzierter materieller Ausstattung befindet sich eine „Citybike“ Station, ein öffentliches WC ist nicht vorhanden. Im Zuge der Revitalisierungsmaßnahmen wurden im Bereich des Höhensprungs Mariahilfer Straße/Marktgebiet  zwar neue Zugangsmöglichkeiten geschaffen, speziell auf Menschen mit besonderen Bedürfnissen (Barrierefreiheit!) sind diese jedoch nicht ausgerichtet.

Was noch in ihm steckt und wie es dazu kam
Kulturelles Erbe des Schwendermarktes:
Der Markt selbst und die Produkte, die dort etwa 100 Jahre lang hauptsächlich angeboten wurden, sind aus dem Wissen, den Praktiken und den Fertigkeiten von Handwerk, Landwirtschaft und Handel hervorgegangen. Hier, in diesem Schmelztiegel, verbinden sich materielle Komponenten kulturellen Erbes (der Markt auf baulich-räumlicher Ebene) und intangible Komponenten kulturellen Erbes (das Wissen, die Techniken aller Beteiligten und die Tradition einen Markt abzuhalten mit allem, was damit zusammenhängt). Heute ist ein zunehmender Verlust des intangiblen kulturellen Erbes feststellbar, womit u.a. der Verlust von Wissen und von Fertigkeiten einhergeht. Insgesamt wird so auch das wirtschaftlich beabsichtigte Verhalten der VerbraucherInnen gelenkt. Über das Kaufen der Produkte in Malls und Supermärkten, werden sie nicht nur vom landwirtschaftlichen Sektor, sondern auch vom Handwerk und den daraus hervorgehenden Produkten getrennt.23

Gesellschaftlicher Strukturwandel:
Noch im 18. Jahrhundert wohnten und arbeiteten BäuerInnen wie HandwerkerInnen mit ihren Familien und GesellInnen etc. im selben Haus. Zwischen dem 18. und dem 21. Jahrhundert änderte sich dies jedoch: Die Funktionen Wohnen und Arbeiten trennten sich räumlich. Langsam ging die Zahl selbstständiger Gewerbetreibender relativ zurück und die Zahl der Lohn- und GehaltsempfängerInnen stieg stetig an. Wo der Begriff Familie zuvor auch noch die Wohn- und Arbeitsgemeinschaft umfasste, tat er es bald nur noch hinsichtlich verwandtschaftlicher Beziehungen. Bis Mitte der 1980er Jahre war eine Funktionsentmischung erreicht, welche die bis dahin deutlichsten Strukturveränderungen in der Stadt herbeiführte. Die drei Wirtschaftssektoren Primär-, Sekundär- und Tertiärsektor (Landwirtschaft, Produktion und Dienstleistungen) entwickelten Standortanforderungen, die immer spezifischer wurden. Dadurch rückten sie in einem zunehmenden Ausmaß großräumig auseinander. Der Tertiärsektor blieb jedoch der aktivste und er verlagerte sich zu den Standorten, die zentral oder verkehrsgünstig lagen. Aus diesem Grund entstanden im Prozess der Citybildung monofunktionale Büro- und Einkaufszentren, was zugleich die Vernichtung der zuvor gemischten Stadtstruktur des alten Stadtzentrums bewirkte.32
Heute bestimmen weitere Faktoren die Entwicklung. Städte „schrumpfen“, manche Teile werden „nicht mehr gebraucht“. Die funktionalräumliche und morphologische Struktur von Städten verändert sich unter den Bedingungen des demographischen und wirtschaftlichen Strukturwandels.33 Strukturmerkmale sind u.a. Funktionsentmischung, Polarisierung auf sozialräumlicher Ebene und eine Zunahme von kleinräumig auftretenden Kontrasten: Inseln des Verfalls und des Erhalts bzw. des Neubeginns .34

Strukturen und Strukturalismus:
Die Stadtsoziologie fragt danach, welche gesellschaftlichen Kräfte Einfluss auf die Stadtentwicklung hatten bzw. haben, also wie ihre Strukturen entstanden sind und welche Folgen diese für das soziale Leben haben. Eine Stadt ist ein sozialer Raum.Als Struktur einer Stadt bezeichnet man die verfestigte räumliche Verteilung von verschiedenen Nutzungsarten und BewohnerInnengruppen, es gibt somit eine funktionale und eine soziale Dimension der städtischen Struktur. (…) Die Stadtstruktur ist also ein Zuweisungssystem von unterschiedlichen Chancen und damit auch ein Instrument von Herrschaft.35 Entscheidend für die Stadtentwicklung sind drei unterschiedliche Einflüsse: Standortpräferenzen (von Gewerbetreibenden, öffentlichen Institutionen und Privathaushalten), Bodenmarkt (dessen Preise sind unterschiedliche Zugangsschwellen zu bestimmten Räumen) und Stadtplanung (indem sie bestimmte Nutzungsarten an bestimmten Orten ausschließt und eigene Entwicklungsziele verfolgt, setzt einen verbindlichen Rahmen für die vorangehenden Einflüsse.36
Nach Martina Löw ist es dann möglich von räumlichen Strukturen zu sprechen, wenn die Konstitution von Räumen, dass heißt entweder die Anordnung von Gütern bzw. Menschen oder die Synthese von Gütern bzw. Menschen zu Räumen (das Wiedererkennen, Verknüpfen und Erspüren von (An)-Ordnungen), in Regeln eingeschrieben und durch Ressourcen abgesichert ist, welche unabhängig von Ort und Zeitpunkt rekursiv in Institutionen eingelagert sind.38 So existieren nicht nur politische, ökonomische oder rechtliche Strukturen, sondern auch räumliche und zeitliche. Zusammen genommen ergeben sie die gesellschaftliche Struktur. Merkmal von Strukturen ist, dass sie im Handeln verwirklicht werden und dieses strukturieren. Damit liegt eine Dualität von Handeln und Struktur vor, die auch für den Raum gilt.39 Das bedeutet, dass räumliche Strukturen eine Form von Handeln hervorbringen, welches in der Konstitution von Räumen eben jene räumliche Strukturen reproduziert.40

Strukturalismus. Die reale, imaginäre und die symbolische Ebene
Orte sind analog dazu bereits besetzt von symbolischen Elementen auf der Ebene der Struktur selbst, bevor reale Wesen diese einnehmen.41 Die symbolischen Elemente wiederum äußern sich in realen Wesen und den realen Beziehungen zwischen diesen.42 Strukturen werden unbewusst wahrgenommen, da sie aus einer Vielzahl virtueller Koexsistenzen bestehen und von ihren Produkten und den diese verkörpernden Beziehungen verdeckt werden.43 Eine funktionierende Struktur hat somit primär eine Wirkung in sich selbst und bringt sekundär das Reale und das Imaginäre hervor.44
Die Differenzierung dieser Ebenen vermag ein Erkennen jener Strukturen zu ermöglichen, die auf einer unbewussten Ebene existieren. Dadurch kann die Frage beantwortet werden, welche Strukturen, die eben nicht auf einer realen Ebene existieren im betrachteten Raum zu einer bestimmten Entwicklung geführt haben/führen könnten.
Die reale Ebene beschreibt das Gegenständliche, das Erkenn- und Fassbare, was in materieller Hinsicht konstituiert ist. Hierzu zählen zum einen Naturausstattung, baulich-räumliche Organisation, etc. und zum anderen Strukturen der Nutzung, die aus dem historischen/kulturellen Kontext heraus entstanden sind, und die damit verbundenen sozio-ökonomischen und sozio-demographischen Faktoren.
Die symbolische Ebene beinhaltet von BetrachterInnen subjektiv wahrgenommene und bewertete spezifische Informationen. Auf ihr werden über die Werthaltung einer Person Entwicklungen auf der realen Ebene bestimmt, welche in der baulich-räumlichen Organisation oder in Verhaltensweisen aufscheint. Werthaltungen können u.a. Subsistenz, Schutz und Versorgung, Solidarität, Arbeit, Verstehen und Wissen, Identität und auch Partizipation sein.24
Die imaginäre Ebene ist die Ebene der planerischen Leitbilder. Diesen liegen bestimmte Vorstellungen zugrunde, welche sich in der Realität abstrahiert manifestieren. Somit nehmen planerische Leitbilder Einfluss auf zukünftige Funktionen und Nutzungen und es können vorab Ziele definiert und Strategien formuliert werden.24

(HESSE und BESENER 2013)

Samstag in der Stadt
Leer, grau und unbelebt. So präsentierte sich der Schwendermarkt Tamara Schwarzmayr von „Samstag in der Stadt“ im Februar 2010.  Aber nicht nur in den unwirtlicheren Jahreszeiten kann wahrgenommen werden, dass die reale Ebene des Marktes mit der imaginären und symbolischen nicht in Einklang zu bringen ist. Dies jedoch war für die Arbeit der Initiative „Samstag in der Stadt“ essentiell. Der im herkömmlichen Sinne nicht mehr funktionierende Markt barg und birgt großes Potential als Experimentierfeld. Andere Wege können eingeschlagen, über Veranstaltungen und Partizipation  das Marktleben wieder in Gang gebracht werden.  „Samstag in der Stadt“ stellt klar die Ideen, Bedürfnisse und Wünsche unterschiedlichster mitgestaltender Zielgruppen in den Vordergrund, um diese dann mit KünstlerInnen und ExpertInnen in Veranstaltungsrunden, Workshops oder Diskussionsrunden umzusetzen und damit den Markt zu beleben.27 Die Aktivitäten finden von April bis November einmal wöchentlich auf der Fläche des Landparteienplatzes statt.28 Eigeninitiative und Eigenverantwortung der AnrainerInnen  werden dabei über Projekte wie den Schwendergarten angeregt, ein Urban-Gardening Projekt, dass einer kontinuierlichen Betreuung bedarf und mit gemeinsamem Ernten und Kochen ausklingt. Weitere Beispiele: Alfamobil, BäuerInnenmarkt, Tauschmarkt, Feste.
Aus einem Chartagespräch mit den AnrainerInnen ging hervor, dass das Projekt „Samstag in der Stadt“ positiv zur Belebung des Schwendermarkts und dem Bedürfnis nach Gemeinschaft beiträgt, wobei das Multikulturelle hier eine wesentliche Rolle spielt. Bei allen Beteiligten besteht großes Interesse am Erhalt des Schwendermarkts und der weiteren Belebung des Grätzels, wie z.B. der Geschäftslokale mit derzeitigem Leerstand.29
Da die Aktivitäten der Initiative sich auf den Landparteienplatz konzentrieren, wurde die Kooperation mit den StandlerInnen näher betrachtet. Tamara Schwarzmayr gab an, das der Verein allen StandinhaberInnen bekannt sei und Kooperationen je nach Interesse in unterschiedlicher Intensität vorliegen würden.27  Diesbezüglich zeichnet sich aktuell noch Verbesserungspotential ab. Aus Gesprächen mit einem Standinhaber und Gästen der Lokale in den fixen Ständen ging hervor, dass die Stammgäste der Lokale in den fixen Ständen gewöhnlich nicht unbedingt jene sind, die die Veranstaltungen der Initiative besuchen.30 Ziel der Initiative ist auch die Belebung eines Wochenmarktes. Die Frage, wie der Verein generell die Überlebenschancen des Marktes einschätzt und welche Bedeutung er für die AnwohnerInnen des Quartiers haben könnte, beantwortete Frau Schwarzmayr dahingehend, dass es der fix bebaute Bereich mit seiner derzeitigen Angebotspalette schwer haben würde, langfristig als Markt zu überleben. Die AnwohnerInnen geben dem Verein bei Gesprächen und auch im Zuge qualitativer Interviews laufend das Feedback, dass ein Markt unbedingt gewünscht sei.31

Fazit
Jedem Raum/Ort sind die drei Ebenen des Realen, des Symbolischen und des Imaginären eigen. Am Schwendermarkt, einem öffentlichen Raum der sowohl Marktgebiet als auch Ort des sozialen Lebens der Nachbarschaft sein sollte, lassen sich offensichtliche Widersprüche zwischen diesen Ebenen erkennen. Der aktuelle Zustand scheint für keine der Interessensgruppen zufriedenstellend zu sein und dennoch ist man sich einig, dass der Schwendermarkt als öffentlicher Raum mit all seinen ihm eingeschriebenen Eigenschaften erhalten bleiben muss.

Hierzu einige grundlegende Überlegungen:
Öffentlicher Raum muss öffentliches Gut bleiben, dass heißt allen Menschen ohne Einschränkung zugänglich sein. In Großstädten allgemein sind öffentliche Räume rar und umso wichtiger ist es, sie gerade für Menschen zu erhalten, die außerhalb ihrer Wohnräume über keine weiteren Entfaltungsräume verfügen. Wird versucht, rein finanziellen Interessen (z.B. Standortpräferenzen, Bodenmarkt!) nachzugehen, die vertragliche Bindungen und Ähnliches bedingen, werden die Bemühungen der Menschen, als MitgestalterInnen auf den öffentlichen Raum Einfluss zu nehmen, unterwandert. NutzerInnen werden zu KonsumentInnen eines vorgeplanten und vorgestalteten Raums mit restriktiven Strukturen degradiert. Für den Schwendermarkt heißt dies, dass das nachbarschaftliche Zusammenkommen in Form von Veranstaltungen und Nutzungen des öffentlichen Raums aller Art, welchem ein familiäres Konzept des Miteinanders zugrunde liegt, nicht in eine Privatisierung gedrängt werden darf. Eine Privatisierung die mit Ge- und Verboten und Gebühren behaftet ist und somit nicht mehr tragbar wird.

Entwicklungen im öffentlichen Raum, wie z.B. die Initiative „Samstag in der Stadt“ entstehen aufgrund des Bedarfs der Menschen an solchen nachbarschaftlich-familiären Verflechtungen und gemeinsamen Nutzungen eines gemeinsamen Raums. Im Bezug auf den Strukturalismus werden hier von den NutzerInnen auf Basis der symbolischen Ebene, die die Werthaltung der Menschen in die reale Ebene einschreibt, eigene unbewusste Leitbilder erstellt (imaginäre Ebene) und gelebt. Entwicklungen wie diese sind nicht von öffentlicher Hand planbar aber sie können durch entsprechende räumliche Strukturen und institutionelle Rahmenbedingungen erleichtert werden. Letztere bedeuten für den Schwendermarkt, dass Nutzungsoffenheit und freie Aneignungsmöglichkeiten vorhanden sein müssen, dass eine entsprechende nutzungsoffene materielle Ausstattung bereitgestellt wird (wovon im Falle des Landparteienplatzes die Rede sein kann), dass das Marktgesetz entsprechend angepasst wird und finanzielle Fördermittel weiterhin zur Verfügung gestellt werden.

In diesem Fall kann Nachhaltigkeitspolitik Umgebungen für eine Bottom-Up-Entwicklung zu gewünschten nachhaltigkeitsnahen Werten schaffen. Hierzu gehört auch, dass der öffentliche Raum Schwendermarkt eben öffentlicher Raum bleiben muss, der Formen der Zwischennutzung ermöglicht, die die temporäre Komponente aufweisen. Also einer Komponente die sich aus einer aktiven Teilhabe von StadtbewohnerInnen an Entwicklungs- und Gestaltungsprozessen erschließt, die bedarfsorientiert sind und dementsprechend Um- und Wiedernutzungen zulassen.26

Die jetzige Form der Zwischennutzung, „Samstag in der Stadt“, fungiert einerseits als „Platzhalter“ mit Pioniercharakter. Andererseits stellt sie jedoch eine Verbindung zu dem historischen Entwicklungsprozess her, der in die reale Ebene einfließt und sie belebt den Markt unter Einbindung und Mitarbeit der AnrainerInnen, was sowohl die symbolische als auch die imaginäre Ebene anspricht. Es wird somit über diese Arbeit, d.h. über das, was gegenwärtig passiert, der Ausgangspunkt für zukünftige Entwicklungen geschaffen.

Auf Bezirksebene scheint es notwendig, sich in Bezug auf den Markt auch mit dem Verlust kulturellen Erbes auseinanderzusetzen. Auf der materiellen Ebene des Marktplatzes ist zunächst zu fragen, wie zukünftig mit möglicherweise erforderlichen baulichen Veränderungen umgegangen wird. Der Markt ist eben gerade noch in der Lage, den AnrainerInnen ein paar Produkte des täglichen Bedarfs in fußläufiger Umgebung anzubieten, doch innerhalb der fixen Marktstände dominiert bereits die Gastronomie. Zudem ist der Markt öffentlicher Raum. Diese Faktoren müssen bei zukünftigen Veränderungen beachtet werden. Im Bereich der intangiblen Ebene ist Informations- und Aufklärungssarbeit erforderlich, um die Verbindung zum Land zu revitalisieren. Dies kann mittels Workshops oder Veranstaltungen erfolgen, welche sowohl LandwirtInnen als auch BürgerInnen (einschließlich jener mit Migrationshintergrund!) einbeziehen. Durch die Tätigkeit, das Engagement von „Samstag in der Stadt“, Mitwirkenden sowie sich privat einbringenden Personen, geschieht dies bereits.

Der historische Schmelztiegel Schwendermarkt (brodelndes Marktleben, Tauschgeschäfte aller Art, soziales (Er-)Leben, Handel, Handwerk sowie Landwirtschaft und aus diesen hervorgehende Produkte) gewinnt durch die Veranstaltungen und Aktivitäten der Initiative „Samstag in der Stadt“ auf eine zeitgemäße bzw. weiterentwickelte Art und Weise einiges von dem zurück, was in der Vergangenheit in ihm steckte/bzw. ein Stück des Flairs zurück, das ihn in der Vergangenheit ausgemacht hat.

Stellt man die Aktivitäten und Veranstaltungen der Initiative auch im Bezug auf ihre Anzahl im Zeitraum 2010-2012 einander gegenüber, wird der prozessuale Charakter ersichtlich. Durch Bedürfnisse, Miteinbindung und Mitarbeit der AnrainerInnen ergeben sich neue Ideen, Realisierungen und Erfahrungswerte, die dann wiederum den Weg für weitere Ideen bereiten.
Für die Zukunft geht es daher nicht um präzise Vorhersagen von möglichen Entwicklungen, sondern vielmehr mögliche Entwicklungen zu definieren und sich dann Gedanken zu machen, was man tun muss, damit von den möglichen Entwicklungen die wünschenswertesten eintreten. Deshalb müssen wir auch heute Verantwortung übernehmen für Entscheidungen, die sich erst in mittlerer oder ferner Zukunft auswirken. In diesem Sinn beginnt ein sinnvoller Zeithorizont frühestens ab fünf Jahre aufwärts. Es gibt Dinge, die brauchen 10, 20 oder 30 Jahre, und wenn wir über Stadtgestaltung und große Infrastrukturen nachdenken, dann müssen wir auch an Entwicklungen denken die bis zu 100 Jahre dauern – und wir sollten wirklich lernen, in solchen Zeithorizonten zu denken.45

Quellenverzeichnis:
1vgl. STATISTIK AUSTRIA1 (2011): Gesamtfläche Wien in km2. http://www.statistik.at/OnlineAtlasWeb/start?kombinationen=316%3B312&selections=148%3B149%3B312%3B316%3B%3B&action=statistik&showStatistik=Karte+anzeigen (31. 10. 2011). I 2vgl. GRIEBL, M. (2006): Wiener Geschichtsblätter. Beiheft 4/2006. In: VEREIN FÜR GESCHICHTE DER STADT WIEN (Hrsg.). Wien. S. 16f. I 3vgl. KLUSACEK, C. und STIMMER, K. (1978): Rudolfsheim Fünfhaus: Zwischen Wienfluß und Schmelz. Verlag Kurt Mohl, Wien. S. 27. GRIEBL, M. (2006): Wiener Geschichtsblätter. Beiheft 4/2006. In: VEREIN FÜR GESCHICHTE DER STADT WIEN (Hrsg.). Wien. S. 16. I 4vgl. STATISTIK AUSTRIA2 (2011): Bevölkerungsdichte Gesamtfläche. http://www.statistik.at/OnlineAtlasWeb/start?kombinationen=169%3B564&selections=148%3B149%3B153%3B308%3B564%3B169&action=statistik&showStatistik=Karte+anzeigen (31. 10. 2011). I 5vgl. STATISTIK AUSTRIA3 (Hrsg.) (2012): Bevölkerungsstand 1.1.2012. Wien. S. 32. http://www.statistik.at/web_de/Redirect/index.htm?dDocName=066244 (23.11.2012). I 6vgl. STATISTIK AUSTRIA3 (Hrsg.) (2012): Bevölkerungsstand 1.1.2012. Wien. S. 56. http://www.statistik.at/web_de/Redirect/index.htm?dDocName=066244 (23.11.2012). I 7vgl. AGENDA WIEN 15 (2004): Bezirksanalyse Agenda Wien 15. S. 8. http://la21wien.at/mehr-wissen/fundgrube/Bezirksanalyse_Agenda_15_2004.pdf (14. 11. 11). I 8AGENDA WIEN 15 (2004): Bezirksanalyse Agenda Wien 15. S. 9. http://la21wien.at/mehr-wissen/fundgrube/Bezirksanalyse_Agenda_15_2004.pdf (14. 11. 11). I 9vgl. KLUSACEK, C. und STIMMER, K. (1978): Rudolfsheim Fünfhaus: Zwischen Wienfluß und Schmelz. Verlag Kurt Mohl, Wien. S. 31, vgl. GRIEBL, M. (2006): Wiener Geschichtsblätter. Beiheft 4/2006. In: VEREIN FÜR GESCHICHTE DER STADT WIEN (Hrsg.). Wien. S. 18. I 10 vgl. WEYRICH, E. (Hrsg.) (1922): Rudolfsheim und Fünfhaus: Ein Heimatbuch. Selbstverlag des Heimatausschusses der Lehrerschaft im VI. Wiener Inspektionsbezirke, Wien. S. 191. I 11 GRIEBL, M. (2006): Wiener Geschichtsblätter. Beiheft 4/2006. In: VEREIN FÜR GESCHICHTE DER STADT WIEN (Hrsg.). Wien. S. 18f. I 12 vgl. HESSE, C. (2012): Öffentlicher Raum [Marktgebiet] im Wandel [der Wirtschaft]: Fallbeispiel Schwendermarkt, 1150 Wien. Bachelorarbeit, Institut für Landschaftsplanung, Universität für Bodenkultur Wien. S. 44. I 13 siehe HAHN, M. (1853): Der Bezirk Sechshaus. Gedruckt bei Ferdinand Ulrich, Wien. S. 124ff. I 14 vgl. HESSE, C. (2012): Öffentlicher Raum [Marktgebiet] im Wandel [der Wirtschaft]: Fallbeispiel Schwendermarkt, 1150 Wien. Bachelorarbeit, Institut für Landschaftsplanung, Universität für Bodenkultur Wien. S. 44. I 15HESSE, C. (2012): Öffentlicher Raum [Marktgebiet] im Wandel [der Wirtschaft]: Fallbeispiel Schwendermarkt, 1150 Wien. Bachelorarbeit, Institut für Landschaftsplanung, Universität für Bodenkultur Wien. S. 71. I 16 vgl. W 100-240 MARKTORDNUNG 2006: Verordnung des Magistrats der Stadt Wien. Anlage II, Punkt 11. http://www.wien.gv.at/recht/landesrecht-wien/rechtsvorschriften/pdf/w1002400.pdf (11. 10. 2011). I 17 vgl. ARBEITERKAMMER (2010): Wer ist wer am Bauernmarkt? Transparenz auf Bauernmärkten (Landparteienplätze) Wien. S. 1. http://wien.arbeiterkammer.at/bilder/d128/Bauernmaerkte_2010.pdf (21. 11. 11). I 18vgl. WEBER, M. (1972): Wirtschaft und Gesellschaft. 5. Auflage. J.C.B. Mohr, Tübingen, S. 728. I 19vgl. HESSE, C. (2012): Öffentlicher Raum [Marktgebiet] im Wandel [der Wirtschaft]: Fallbeispiel Schwendermarkt, 1150 Wien. Bachelorarbeit, Institut für Landschaftsplanung, Universität für Bodenkultur Wien. S. 82. I 20PRAUHART, N. und SCHWARZMAYR, T. (20121): Protokoll Chartagespräch: Thema: miteinander auskommen/Öffentlicher Raum – Lebensraum für uns alle! Stattgefunden am: 11. Oktober 2012, veröffentlicht am: 15. Oktober 2012. http://www.samstaginderstadt.at/Protokoll_Chartagespraech_SamstaginderStadt_11102012.pdf (20.12.2012). I 21PRAUHART, N. und SCHWARZMAYER, T. 20122: Über Samstag: Samstag in der Stadt. http://www.samstaginderstadt.at/Ueber_Samstag.html (19.12.2012). I 22HESSE, C. (2012): Öffentlicher Raum [Marktgebiet] im Wandel [der Wirtschaft]: Fallbeispiel Schwendermarkt, 1150 Wien. Bachelorarbeit, Institut für Landschaftsplanung, Universität für Bodenkultur Wien. S. 94. I 23vgl. HESSE, C. (20122): Intangible heritage. Based on the example Schwendermarkt, Vienna. Essay. Institut für Landschaftsplanung, Universität für Bodenkultur, Wien. S. 8. I 24 vgl. SCHNEIDER, G. (2010): Theorie und Methodik der Landschaftsplanung. Vorlesungsunterlagen. Zur Verfügung gestellt vom Institut für Landschaftsplanung. BOKU. Wien. I 27vgl. SCHWARZMAYR, T. (2012): Antworten der E-Mail Befragung vom 25.11. 2012. Wien. I 28 vgl. PRAUHART, N. und SCHWARZMAYER, T. (2012): Über Samstag: Samstag in der Stadt. http://www.samstaginderstadt.at/Ueber_Samstag.html  (19.12.2012). I 29PRAUHART, N. und SCHWARZMAYR, T. (2012): Protokoll Chartagespräch: Thema: miteinander auskom-men/Öffentlicher Raum – Lebensraum für uns alle! stattgefunden am: 11.Oktober 2012, veröffentlicht am: 15.Oktober 2012. http://www.samstaginderstadt.at/Protokoll_Chartagespraech_SamstaginderStadt_11102012.pdf (20.12.2012). I 30vgl. KVAPIL (2012): Befragung in dem fixen Marktstand Nr. 19 „Green House“ (Herr Kvapil, derzeitiger Inhaber und dessen Gäste) durch BESENER, I. und HESSE, C. am 20.11.2012. Wien. und ANONYM (2012): Befragung in dem fixen Marktstand Nr. 12-13 „Marktbeisl“ (2 Gäste, Inhaber abwesend) durch BESENER, I. und HESSE, C. am 20.11.2012. Wien. I 31SCHWARZMAYR, T. (2012): Antworten der E-Mail Befragung vom 25.11. 2012. Wien. I 32vgl. KAINRATH, W. et al. (1984): Die alltägliche Stadterneuerung. Löcker Verlag, Wien. S. 178ff. I 33vgl. DISSMANN, C. (2011): Die Gestaltung der Leere: Zum Umgang mit einer neuen städtischen Wirklichkeit. transcript Verlag, Bielefeld. S. 49. I 34vgl. DISSMANN, C. (2011): Die Gestaltung der Leere: Zum Umgang mit einer neuen städtischen Wirklichkeit. transcript Verlag, Bielefeld. S. 82. I 35 HÄUSSERMANN, Hartmut und SIEBEL, Walter (2004): Stadtsoziologie. Eine Einführung.  Campus, Frankfurt/Main. S. 117. I 36vgl. HÄUSSERMANN, Hartmut und SIEBEL, Walter (2004): Stadtsoziologie. Eine Einführung.  Campus, Frankfurt/Main. S. 119. I 37vgl. BEZIRKSJOURNAL RUDOLFSHEIM (1997): Schwender-Markt soll zweites Bezirkszentrum werden. Ausgabe 2/1997. Wien. I 38LÖW, M. (2001): Raumsoziologie. Suhrkamp Verlag. Frankfurt/Main. S. 171f. I 39vgl. LÖW, M. (2001): Raumsoziologie. Suhrkamp Verlag. Frankfurt/Main. S. 171f. I 40LÖW, M. (2001): Raumsoziologie. Suhrkamp Verlag. Frankfurt/Main. S. 171f. I 41DELEUZE, G. (1992): Woran erkennt man den Strukturalismus? Merve Verlag, Berlin. S. 53. I 42vgl. DELEUZE, G. (1992): Woran erkennt man den Strukturalismus? Merve Verlag, Berlin. S. 23. I 43vgl. DELEUZE, G. (1992): Woran erkennt man den Strukturalismus? Merve Verlag, Berlin. S. 28 + 33. I 44vgl. DELEUZE, G. (1992): Woran erkennt man den Strukturalismus? Merve Verlag, Berlin. S. 57. I 45HAUFF, V. (2008): Wer Nachhaltigkeit will, muss Streit wagen. Im Gespräch mit Volker Hauff. In: VON BORRIES et al. (2008): Bessere Zukunft? Auf der Suche nach den Räumen von morgen. Merve Verlag, Berlin. S. 123.

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