Kritische Theorie der Landschafts- und Freiraumplanung I Stand 2015



Auszug aus der Masterarbeit:

Zitierhinweis: 
HESSE, Carola (2015): Zukunft auf der Schmelz - Ein Freiraum für alle? Eine freiraumplanerische Analyse der Schmelz im 15. Wiener Gemeidebezirk mit einem Fokus auf den öffentlichen Freiraum und seine NutzerInnen. Diplomarbeit / Masterarbeit - Institut für Landschaftsplanung (ILAP), BOKU-Universität für Bodenkultur, Wien.

[Anmerkung: Kapitelangaben im nachfolgenden Beitrag beziehen sich auf das Hauptwerk!]





In dieser Arbeit beziehe ich mich auf die kritische Theorie der Landschafts- und Freiraumplanung der deutschen Gesamthochschule Kassel, Fachbereich für Stadt- und Landschaftsplanung, die von Karl Heinrich Hülbusch, Inge Meta Hülbusch, Helmut Böse und nachfolgend auch von weiteren MitarbeiterInnen des Fachbereichs erarbeitet wurde. Erweiterungen und Ergänzungen finden sich in Beiträgen des Instituts für Landschaftsplanung an der Universität für Bodenkultur Wien seit Mitte der 1990er Jahre, welche ebenfalls Eingang in diese Arbeit finden. 

Die Grundlage der Begriffe „Kritische Theorie“ und „Traditionelle Theorie“ in der Kasseler Schule findet sich in den Arbeiten zur kritischen Theorie der Gesellschaft von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer (Frankfurter Schule). Eingeführt wurde der Begriff „Kritische Theorie“ in der Schrift „Traditionelle und kritische Theorie“ von Max Horkheimer im Jahr 1937 (vgl. AMANN 1996: 353). Kritische Theorie ist „ständige Kritik am Bestehenden“, sie ist „Theorie und zugleich Verhaltensweise“ (ebd.) und „geht von der dialektischen Einheit von Theorie und Praxis und der Einheit von Sein und Sollen aus, umfasst historische Analyse und kritische Bewertung“ (MIKL-HORKE 2011:168).

Wird in der Landschafts- und Freiraumplanung von Theorie gesprochen, dann ist damit das „Durchschauen der Realität“ (BÖSE 1988: 71 in KUROWSKI 2003: 32) gemeint, denn ein durch Prüfung in professioneller und gesellschaftlicher Praxis erarbeitetes kritisches Denken, differenziert sich gegenüber der traditionellen Theorie (vgl. KUROWSKI 2003: 32).
Über das kritische Denken kam es auch zur Differenzierung innerhalb der Profession – so sind beispielsweise Grünplanung oder Landschaftsarchitektur der traditionellen Theorie zuzuordnen, Landschaftsplanung und Freiraumplanung hingegen der kritischen Theorie (vgl. KUROWSKI 2003: 32). Es wurden jedoch auch zentrale Inhalte für die Landschafts- und Freiraumplanung erarbeitet, wodurch im Vergleich zur traditionellen Theorie auf „ein tieferes und umfassenderes Verständnis für professionelle Fragestellungen und Arbeitsgegenstände“ zurückgegriffen werden kann (ebd.). 

1.1.       Theorie der Subsistenzperspektive 

„In der kritischen Theorie der Landschafts- und Freiraumplanung wird die Subsistenz als Grundlage des Lebens anerkannt.“ (KÖLZER 2006: 66). Gemäß Duden wird unter Subsistenz „das Bestehen durch sich selbst“, aber auch (Lebens-)Unterhalt verstanden (vgl. BIBLIOGRAPHISCHES INSTITUT 2004: 445). Die Wurzeln des Begriffes Subsistenz reichen zurück bis in die griechische Antike. Insgesamt weist der Begriff einen ökonomischen und einen landwirtschaftlichen Bezug auf, jedoch lässt er sich nicht allein darauf beschränken (vgl. THIEME 2012: 25f). 

Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich jene Subsistenztheorie (Synonym Subsistenzansatz) vorstellen, die ihren Ausgangspunkt in den 1970er Jahren nimmt. Hier arbeiteten Veronika Bennholdt-Thomsen, Maria Mies und Claudia von Werlhof an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld in kritischer Auseinandersetzung heraus, dass Hausarbeit als grundlegende und produktive Arbeit, weder anerkannt noch bewertet wurde – sowohl in der marxistischen Gesellschaftstheorie, als auch innerhalb den nach wie vor aktuellen Verhältnissen kapitalistischer Produktion. Im Laufe der Zeit erfuhr der Ansatz eine terminologische Weiterentwicklung – von der Subsistenzreproduktion über Subsistenzproduktion (Synonym Lebensproduktion) hin zur Subsistenzperspektive (Synonym Subsistenzorientierung). In dieser Entwicklung spiegelt sich wider, das Subsistenz nicht nur als Form einer ökonomischen Kategorie diskutiert wird, sondern, dass mit ihr auch eine alle Bereiche des Lebens betreffende Wertbeimessung verbunden ist (vgl. ARBEITSGRUPPE CHORA 2005: 1). 

Den einleitend angeführten ökonomischen und landwirtschaftlichen Bezug der Subsistenz möchte ich im Folgenden noch etwas eingehender beleuchten – den landwirtschaftlichen Bezug vorweg anhand eines Beispiels, welches seinen Fokus auf das Werten selbst legt:
Innerhalb einer binären Denkweise erfolgt eine Einteilung in positiv und negativ. Bei der Gegenüberstellung von Agrargesellschaft und Industriegesellschaft beispielsweise, wird die Agrargesellschaft als „rückständig“ betrachtet, oder als „nicht die positiven Elemente der Industriegesellschaft aufweisend“. Agrargesellschaft beinhaltet dann die Konnotation „nicht positiv“. PhilosophInnen und KulturkritikerInnen wie Jaques Derrida, Gilles Deleuze und Alice Jardine identifizierten binäre Denkweise als Werkzeug zur Steuerung von Macht und zum Bilden natürlicher hierarchischer Beziehungen (vgl. MEYER 1997: 45). Daraus ergeben sich auch für die Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur signifikante Folgen, da über binäre Sets, wie Mensch/Natur oder Kultur/Natur, eine Separation erfolgt, innerhalb welcher Menschen außerhalb des Ökosystems platziert werden, dessen Teil sie jedoch sind. Anstelle von Partnerschaft und Wechselbeziehung wird eine Landethik der Kontrolle und Eigentümerschaft geschaffen. Mit der Juxtaposition Mensch/Natur wiederum wird eine geschlechtliche Nuance in das binäre Denken eingeführt, so dass Kultur mit männlich und Natur mit weiblich verbunden wird (vgl. ebd.: 46).

Mit der Entwicklung eines theoretischen Instrumentariums innerhalb der Bielefelder Entwicklungssoziologie aber wurde es möglich, Agrargesellschaften nicht einzig aus jener Perspektive heraus zu betrachten, in der sie auf ein Vorstadium industrieller Entwicklung (=negativ) reduziert werden. Der Begriff Subsistenzproduktion schafft daher vielmehr eine Kategorie, mittels welcher dualistisch getrennte Begriffe als zusammengehörig identifiziert werden können (vgl. MÜLLER 1998: 11).

Vordergründig wird der Begriff Subsistenzproduktion von den Bielefelderinnen als eine Produktion begriffen, die am Eigenbedarf orientiert ist. Sie umfasst alle Arbeit, die für die Herstellung und den Erhalt des unmittelbaren Lebens erforderlich ist. Eben das ist ihr Zweck, d.h. das Ziel der Subsistenzproduktion ist Leben und nicht immer mehr Geld produzierendes Geld, wie in der Waren und Mehrwertproduktion, in der Leben gewissermaßen nur als Nebeneffekt anfällt (vgl. BENNHOLDT-THOMSEN und MIES 1997: 26 in BENNHOLDT-THOMSEN 2010: 12).

Mit Leben als Zielsetzung, und mit dementsprechend an Gebrauchswerten orientierter Arbeit, kann ihr Wert nicht mit den gängigen Gesetzen des Geldmarktes beschrieben werden (vgl. ARBEITSGRUPPE CHORA 2005: 1). Subsistenzproduktion baut nicht auf Konkurrenz, sondern umgekehrt auf gelingende Beziehungen (vgl. KÖLZER 2006: 52). Dass heißt, keine Geldorientierung, sondern eine Ökonomie und Kultur des Wohlergehens, für die menschliche Zuwendung, Begegnung und Interaktion um das für das alltägliche Leben herum Notwendige, charakteristisch sind. Diese umfasst das Umsorgen von Kindern, Jugendlichen und Alten, die Subsistenzarbeit von Müttern und Vätern, Frauen und Männern, und auch den Zweck der Erwerbsarbeit, um dadurch die eigene Subsistenz bestreiten zu können. Doch wird in der modernen Werteskala der alltägliche menschliche Begegnungsprozess immer mehr durch das Geld verdrängt, welches wiederum zu einem Wert an sich wird, der die Subsistenz ersetzen soll. Die Tatsache, dass es sich beim Geld nur um ein Tauschmittel handelt, scheint vergessen. Stattdessen wird das Geld selbst zum Inbegriff der Lebenssicherung (vgl. BENNHOLDT-THOMSEN 2003: 242). Dass bedeutet, dass die Subsistenz der globalen Warenökonomie untergeordnet wird und in der Folge, dass Aspekte der Selbstversorgung, die sich nicht in Waren verwandeln lassen, in zunehmendem Ausmaß Zwängen unterworfen und auch beschwerlicher werden (vgl. BENNHOLDT-THOMSEN 2003: 250). Allerdings sind die entscheidenden Elemente der Subsistenz, jene die gewissermaßen die Menschlichkeit ausmachen, nicht kommerzialisierbar. Daher lässt sich Subsistenz als Lebensbereich jenseits der Bezahlung in einer ansonsten vollständig vom Markt durchdrungenen Gesellschaft definieren (vgl. BENNHOLDT-THOMSEN 2012: 107).

„Sinn und Wert von Subsistenz bestehen darin, in Freiheit und Würde ein gutes Leben zu ermöglichen.“ (KÖLZER 2006: 66). Eine Subsistenzperspektive einzunehmen bedeutet vor allem, das Ziel von Wirtschaften neu zu bestimmen und darüber hinaus neu zu definieren, was ein gutes Leben ist (vgl. BENNHOLDT-THOMSEN et al. 2002: 202). Neben diesen Aspekten aber bedeutet Subsistenz auch selbstständig im Denken und Handeln zu sein, sich eigenständig (autonom und nicht autark) vom Expansionismus, fortschreitender Privatisierung und der Wachstumslogik des Kapitals bewusst abzuwenden. Sie bedeutet, die Geschichte, das Wissen und die kulturelle Identität zu erhalten. In Fragen zum Eigentum favorisiert Subsistenz vor allem Formen der Allmende, da kommunales Eigentum notwendige Voraussetzung für den Erhalt einer eigenständigen kommunalen Wirtschaft ist (vgl. MIES 1988, BENNHOLDT-THOMSEN und MIES 1997 in BENNHOLDT-THOMSEN et al. 2002: 205-206). 

Wenn auch die selbstständige Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft – wodurch die personale und lokale Identität gestärkt wird – für Subsistenzproduktion grundlegend ist (vgl. Schneider 19972: 48), gibt es für Subsistenz kein Modell. Die Subsistenzorientierung ist ein Handlungskonzept, mit dem andere oder neue Prozesse in Gang gesetzt werden (vgl. BENNHOLDT-THOMSEN 2003: 248). Es wird von Vorbildern und realen Beispielen gelernt. Darüber hinaus verlangt eine von der Subsistenz ausgehende Perspektive, dass die Vorstellungen und Bilder von Subsistenz – das Imaginäre – (siehe Kapitel 2.1.4) immer wieder am realen Alltag geprüft werden (vgl. KÖLZER 2006: 63). 

Veronika Bennholdt-Thomsen unterstreicht darüber hinaus, dass sich die Geldorientierung und damit vorgeblich verbundene Zwänge gegen einen direkten Nutzen für das tägliche Leben wenden (vgl. BENNHOLDT-THOMSEN 2003: 248). Denken wir beispielsweise an eine eigentlich notwendige Planungsmaßnahme in der Stadt. „Kein Geld“, „Rentiert sich nicht“ etc. ist häufig zu vernehmen, wenn sie nicht umgesetzt werden kann. Stattdessen wird die Schuld von der Kommunalpolitik hin zum Bund oder Land und wieder zurück geschoben. Die Ursache des Problems jedoch sieht Veronika Bennholdt-Thomsen in der vorherrschenden Orientierung am Geld, wodurch auch andere Kriterien des wirtschaftlichen Handelns zur Nebensache werden würden. Sie schlägt daher fünf sich an Subsistenz orientierende Kriterien vor, mit Hilfe derer stattdessen gehandelt werden kann: Der Vorrang gilt dem was nützlich ist und was gebraucht wird; das Kleine wird dem Großen gegenüber vorgezogen; persönliche Beziehungen sind höher zu werten als anonyme; dezentrale Lösungen sind höher zu werten als zentralisierte und dem Lokalen wird dem Internationalen gegenüber der Vorrang gegeben (vgl. ebd.). Von ihr vorgeschlagene generelle Prinzipien für eine an Subsistenz orientierter Politik sind:

  1. „Subsistenzpolitik ist eine Politik des Alltags, von ‚unten‘, vom tätigen, verantwortungsbewussten Individuum getragen und nicht von ‚oben‘, von einer übergeordneten Autorität her ausgeübt
  2. Subsistenzpolitik ist eine Politik des Notwendigen, der Immanenz statt der Transzendenz
  3. Die Politik für die Subsistenz orientiert sich am Konkreten, Stofflichen, Leiblichen, Sinnlichen und wendet sich gegen die Abstraktion des Geldes und die Anonymität der Ware
  4. Subsistenzorientierung ist eine Politik für die Wiederherstellung von Gemeinschaft.“ (BENNHOLDT-THOMSEN 2011: 4).

Wenn wir überlegen, was nun in der Stadt ein subsistenzorientiertes Wirtschaften ausmachen könnte, dann eignet sich das Wohnen als erklärendes Beispiel: Es wird Platz für die Alltagsproduktion in der Wohnung benötigt, um nicht zwanghaft auf die Konsummaschine angewiesen zu sein. Es bedarf auch eines Wohnumfeldes, um den Akt des Wohnens tatsächlich befriedigen zu können. Also eine gebrauchsfähige Einheit aus den (eigenen) vier Wänden und einem Umfeld, in dem sich beispielsweise Kinder ihre Welt erschließen können und in dem es auch möglich ist, Nachbarschaft zu praktizieren (vgl. BENNHOLDT-THOMSEN 2003: 251-252). Dieses Umfeld zählt wiederum zu den sozialen Gemeingütern, beispielsweise in Form von Straßenfreiräumen und Plätzen oder Parks. Soziale Gemeingüter sind Voraussetzung für ein Gedeihen der sozialen Beziehungen und wir alle profitieren von Räumen und Zeiten, welche die Voraussetzung für ungerichtete und unprogrammierte Begegnungen schaffen (vgl. HELFRICH et al. 2009: 7). Als Orte, an denen sich die Menschen auch versammeln können, gehören sie zur Demokratie (vgl. HEINRICH BÖLL STIFTUNG 2015: 47). Die Aufgabe der Landschaftsplanung ist dabei, jene Handlungsfreiräume (Synonym Handlungsspielräume) herzustellen, die autonome Entscheidungen darüber zulassen, wie naturbürtige Hilfsquellen gebraucht werden können. Sie ebenen den Weg für Subsistenzfähigkeit und Subsistenzarbeit (vgl. SCHNEIDER 1989: 134).

Subsistenz, Stadt und die Verbindung zum Klimawandel

„Bis 2050 werden zwei Drittel der Menschen weltweit in Städten leben. Schon heute hängt die Lebensqualität davon ab, wie gut sie geplant sind.“ (HEINRICH BÖLL STIFTUNG 2015: 46). 

In diesem Zusammenhang sollen Umfeld und Handlungsfreiräume an dieser Stelle kurz in einen aktuell auf unterschiedlichsten Ebenen diskutierten Kontext gebracht werden: Mit der Orientierung an Markt und Geld ist eine weitere, umso schwerwiegendere Folgewirkung eingetreten: Der Klimawandel. Er entfaltet globale Auswirkungen und ist als eine der umfassendsten umweltpolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu betrachten. Dass eine Änderung des Klimas nicht mehr aufzuhalten ist und maximal die Auswirkungen gemindert werden können, ist wissenschaftlicher Konsens. Durch den Klimawandel hervorgerufene, unterschiedliche Beeinträchtigungen werden nahezu alle Regionen Europas betreffen und es werden erhebliche Probleme für viele natürliche und sozio-ökonomische Systeme erwartet (vgl. BMLFUW 2013: 3). 

Zielsetzung der Europäischen Union ist, die Begrenzung des Anstiegs „der globalen Durchschnittstemperatur auf weniger als 2°C über dem vorindustriellen Niveau“ (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2007: o.S. in BMLFUW 2013: 3). Wenn diese Begrenzung des Temperaturanstiegs nicht gelingt, wird es zu beträchtlichen Schäden kommen. Aus diesem Grund sind nicht nur Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgasemissionen essentiell, sondern auch die Entwicklung und Umsetzung von Strategien zur Anpassung (vgl. BMLFUW 2013: 3).

Straßenfreiräume, öffentliche Plätze und Parks, private Gärten und andere Grünflächen beinhalten neben ihrem sozialen, ästhetischen sowie ernährungsrelevanten Wert auch eine wesentliche Bedeutung als „Lunge“ der Stadt und für die darin lebende Bevölkerung. An den Stellen, wo der Boden der Stadt nicht versiegelt ist, kann Regenwasser versickern, so dass wiederum Überschwemmungen in einem geringeren Ausmaß auftreten. Versiegelte Flächen mithin bewirken das Gegenteil. Auch absorbieren Gebäude und z.B. geteerte Flächen Sonneneinstrahlung und Fahrzeuge, Heizungen und Klimaanlagen etc. erzeugen zusätzliche Wärme. Dadurch kommt es zur Ausbildung von Wärmeinseln in der Stadt. Dass bedeutet, dass es aufgrund dieser Einwirkfaktoren tagsüber zwischen ein und vier Grad und nachts teilweise sogar zehn bis fünfzehn Grad wärmer sein kann als in der Umgebung. Durch Vegetation hingegen wird Luft abgekühlt, Schatten geboten und die Luftqualität verbessert (vgl. HEINRICH BÖLL STIFTUNG 2015: 46). Aufgabe einer an der Subsistenz orientierten Landschafts- und Freiraumplanung ist daher für aktuelle und zukünftige Planungen auch diesen Aspekt in die Überlegungen zu Handlungsfreiräumen mit einzubeziehen.

1.2       Theorie der sexuellen Differenz

Bezugnehmend auf das Ende des vorangegangenen Kapitels, möchte ich an dieser Stelle an die dort angeführten Handlungsfreiräume anknüpfen. Das Entwickeln von Handlungsfreiräumen, die subsistenzfähig sind bzw. Subsistenzarbeit zulassen, geschieht über die Planung und Herstellung baulich-räumlicher Rahmenbedingungen. Anhand dieser Bau- und Freiraumstrukturen eines konkreten Ortes können Wert und Bedeutung der Handlungsfreiräume für die Alltagspraxis abgelesen werden. Zugleich aber auch die ihnen innewohnende symbolische Ordnung bzw., und der „Philosophie der sexuellen Differenz“ folgend (siehe LUCE IRIGARAY 1987), die mit den baulich-räumlichen Strukturen verbundenen ökonomischen wie sozialen Ungleichheiten (vgl. SCHNEIDER 1989: 134, SCHNEIDER 19971: 52, KUROWSKI 2003: 296, KÖLZER 2006: 52). Für eine an der Subsistenz orientierten Landschafts- und Freiraumplanung ist daher die „Arbeit am Symbolischen“ notwendige Voraussetzung (vgl. KÖLZER 2006: 52).

Dreierlei Betrachtungsebenen lassen sich hinsichtlich der baulich-räumlichen Strukturen unterscheiden: Die baulich-räumliche, die ökonomische und die soziale Organisation (vgl. KÖLZER 2006: 52). Interpretiert werden diese mit den Bau- und Freiraumstrukturen verknüpften Ebenen dann „hinsichtlich ihrer Qualität als nutzbare und aneigenbare Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsorte“ (vgl. HÜLBUSCH, I.M. 1978, STEINHÄUSER 1990, STALLER 1996, DAMYANOVIC 1997 in KÖLZER 2006: 66). Je nach Ergebnis können daher die Bau- und Freiraumstrukturen eines konkreten Ortes einen genaueren Aufschluss über die Möglichkeiten und Einschränkungen der Handlungsfreiräume – insbesondere für Frauen – geben, die diesem Ort innewohnen (vgl. SCHNEIDER 19971: 52). 

Wie in der Stadt baulich-räumliche Rahmenbedingungen, das heißt, wie Bau- und Freiraumstrukturen hergestellt werden, ist üblicherweise über Planungsinstrumente geregelt. Über sie werden mögliche Lebensentwürfe der Menschen (vgl. BURCKHARDT und FÖRDERER 1968 [1972]: o.S. in KUROWSKI 2003: 296) und auch ihre Handlungsmöglichkeiten festgelegt. Bevor also neu geplant, neu entwickelt werden kann, gilt es zunächst die an einem konkreten Ort bestehenden Handlungsfreiräume einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Unter der Annahme, dass Freiräume erst durch den Gebrauch eine Vervollständigung erfahren, ist dabei für die Landschafts- und Freiraumplanung Voraussetzung, dass die soziale symbolische Ordnung ebenso sorgfältig beschrieben wird, wie die Organisation der Freiräume auf baulich-räumlicher Ebene (vgl. STALLER 1996: o.S. in SCHNEIDER 19971: 54). Das bedeutet, dass der Landschafts- und Freiraumplanung eine Gesellschaftstheorie mit feministischer Theorie und Praxis vorausgeht und sie auch von ihr begleitet wird (vgl. SCHNEIDER 19971: 54).

Mit Hilfe der Theorie der sexuellen Differenz können Un-Ordnungen benannt und Differenzen für das jeweilige Geschlecht herausgearbeitet werden (vgl. SCHNEIDER 2004: 21). Als kritische Erweiterung einer strukturalistischen Denkweise, wird durch die Theorie der sexuellen Differenz die Tatsache benannt, dass zwei Geschlechter existieren und das diese „in der vorherrschenden Ordnung in einer androzentrisch ausgerichteten hierarchischen Asymmetrie zueinander stehen. Diese Asymmetrie, beispielsweise zwischen der Erwerbsarbeit und der häuslichen Arbeit, bildet sich auch in öffentlichen und privaten Freiräumen ab.“ (KUROWSKI 2003: 33). 

Das Symbolische ist unser unbewusster Orientierungsmaßstab (vgl. MARKERT 2009: 47), die symbolische Ordnung ein unausgesprochenes Konzept von Bildern, Zeichen und Urteilen. Es bildet die Basis der menschlichen Gemeinschaft. Vermittelt werden diese oft unbewusst getroffenen Vereinbarungen insbesondere über die Sprache. Insgesamt wird die symbolische Ordnung über unsere Urteile, unser Sprechen und Handeln aktiv mitgestaltet (vgl. ARBEITSGRUPPE CHORA 2005: 2). Im Folgenden werden auf einer subsistenzorientierten Landschafts- und Freiraumplanung gründende Prinzipien für eine symbolische Ordnung angeführt:
  • Leben, Arbeit und die alltäglichen, das Leben erhaltenden Arbeiten werden wertgeschätzt;
  • Das Gute Leben wird als Maßstab des Handelns herangezogen;
  • Natürliche Begrenztheit und menschliche Bedingtheit werden anerkannt;
  • Es besteht eine Praxis der Verhandlung und Vermittlung „in einem Leben in Beziehung“;
  • Es besteht eine „Praxis des Von-sich-selbst-Ausgehens“;
  • Veränderungen wird aufmerksam und offen gegenübergestanden;
  • Sexuelle Differenz wird anerkannt und wertgeschätzt (vgl. KÖLZER 2006: 65).


Die Einführung der Differenzierung des Symbolischen in die kritische Theorie der Landschafts- und Freiraumplanung ist auf Gerda Schneiders herausgearbeitete Gemeinsamkeiten mit feministischen Theorieansätzen zurückzuführen (siehe GERDA SCHNEIDER 19971: „Die Verfertigung der Freiräume in der Planung setzt die ‚symbolische Ordnung der Mutter‘ voraus“). Beide, dass heißt die Theorie der sexuellen Differenz, sowie die kritische Theorie der Landschaftsplanung, weisen wiederum Merkmale auf, die sich auch im Strukturalismus wiederfinden (vgl. KUROWSKI 2003: 33).

1.3       Der strukturalistische Ansatz in der Landschaftsplanung

Wie einleitend in Kapitel 2 [Anmerkung der Autorin: Siehe Hauptwerk] bereits angeführt, sind es die Menschen, die mit ihrer alltäglichen Arbeit und ihren alltäglichen Handlungsfreiräumen im Zentrum der landschafts- und freiraumplanerischen Betrachtungen stehen. Sich mit dem Alltag der Menschen auseinandersetzen, dass bedeutet herauszufinden, wie sie wirtschaften und wie sie sich den Alltag organisieren. Es bedeutet auch herauszufinden, für wen welche Nutzungen in einem zur Verfügung stehenden Raum möglich sind und welche Nutzungsansprüche an den Raum gestellt werden. Ein Teil der theoretischen und praktischen Arbeit von Landschafts- und FreiraumplanerInnen ist daher die systematische Auseinandersetzung mit bestehenden Strukturen über Analyse- und Reflexionsprozesse (vgl. HESSE 2012: 11). Diese bestehenden Strukturen sind, wie in Kapitel 2.1.3 beschrieben, u.a. jene, die Handlungsfreiräume einräumen, einschränken oder gar abschaffen: 

In Anlehnung an die Stadtsoziologie geht es bei der Analyse von Strukturen in der Stadt darum zu fragen, welche gesellschaftlichen Kräfte die Stadtentwicklung beeinflussten bzw. beeinflussen, d.h. zu fragen wie die Strukturen einer Stadt entstanden sind und welche Folgen sich daraus für das soziale Leben ergeben haben/ergeben. In diesem Zusammenhang ist mit der Struktur einer Stadt die räumliche Verteilung unterschiedlicher Nutzungsarten und BewohnerInnengruppen gemeint. Ihr wohnt eine funktionale und eine soziale Dimension inne (vgl. HÄUSSERMANN und SIEBEL 2004: 117f). In Abhängigkeit von der Zusammensetzung der Strukturen eines Ortes werden bestimmte Entwicklungen eingeleitet. Sie beinhalten gebaut räumliche, also reale Strukturen und jene, die auf einer anderen Ebene existieren (vgl. HESSE 20142: 8). Dadurch ist die Stadtstruktur insgesamt ebenso als Zuweisungssystem unterschiedlicher Chancen zu verstehen, dass heißt, als Instrument von Herrschaft (vgl. HÄUSSERMANN und SIEBEL 2004: 117f).

Im Zuge realer Planung werden über die Herstellung materieller Rahmenbedingungen die Strukturen eines Ortes organisiert. Liegen nun an einem bestehenden Ort Diskrepanzen zwischen vorliegenden baulich-räumlichen, sozialen, ökonomischen, kulturellen Strukturen etc. und den anhand der Freiraum- und Landnutzung ablesbaren Anforderungs- und Nutzungsstrukturen vor, so ist genau dies ein Verweis darauf, dass den Strukturen unterschiedliche Prinzipien oder Denkstrukturen als Strukturen hinter den Strukturen zugrundeliegen (vgl. KUROWSKI 2003: 35-36). 

Methodisch zurückzuführen ist der strukturalistische Ansatz auf Gilles Deleuze (1992). Seinen Ausführungen gemäß sind wir es gewöhnt, zwischen dem realen und dem imaginären Bereich zu unterscheiden. Als zentrales Kriterium für den Strukturalismus nennt er, neben dem Vorhandensein einer realen und imaginären Ordnung, die Anerkennung einer dritten, der symbolischen Ordnung. Diese kann nicht auf die Reale und Imaginäre Ordnung reduziert werden und reicht tiefer als die beiden anderen (vgl. ebd.: 9f). 

Nach der Theorie des Strukturalismus gilt es auch im Rahmen der landschafts- und freiraumplanerischen Analyse- und Reflexionsprozesse drei Ebenen zu unterscheiden: Die Reale, die Imaginäre und die Symbolische (vgl. SCHNEIDER 2004: 21). Dadurch wird das Erkennen jener Strukturen ermöglicht, die eben nicht allein auf der realen Ebene existieren (vgl. BESENER und HESSE 2013: 8). 

Eingang fand die strukturalistisch geprägte Betrachtungsweise in die Landschafts- und Freiraumplanung erstmals über Arbeiten Gerda Schneiders (1989) am Institut für Landschaftsplanung der Universität für Bodenkultur Wien und nachfolgend innerhalb vieler weiterer Arbeiten von MitarbeiterInnen und StudentInnen. Unter anderem im Zusammenhang mit Gender-Mainstreaming, damit jene Strukturen erkannt und gefördert werden können, die Frauen und Männer gleichstellen, ihre Verschiedenartigkeit chancengleich akzeptieren und welche die Situation beider Geschlechter baulich-räumlich sowie sozio-ökonomisch unterstützen (vgl. DAMYANOVIC 2007: 43). 

Die reale Ebene, nach Deleuze der „Platz in einer realen Ausdehnung“ (DELEUZE 1992: 15), umfasst materielle Ausstattungen, Landnutzungsstrukturen inklusive ihrer sozio-ökonomischen Verhältnisse, handelnde Personen und rechtliche Rahmenbedingungen (vgl. SCHNEIDER 2004: 21, DAMYANOVIC 2007: 44). Sie ist der Beginn, die Manifestation und das Ergebnis von (Denk- und wertenden) Prozessen, die zuvor auf der imaginären und symbolischen Ebene stattgefunden haben. Damit ist sie keine per se unveränderliche Ebene – in baulich-räumlicher, wie in zeitlicher Hinsicht.

Die imaginäre Ebene, nach Deleuze die Ebene der implizierten und bedeutungsgebenden Inhalte, beinhaltet Vorstellungen und Leitbilder und damit die Wertmaßstäbe in Planungskonzepten und Planungen (vgl. DELEUZE 1992: 15, SCHNEIDER 2004: 22, DAMYANOVIC 2007: 44). Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass insbesondere Leitbilder nicht nur von den Wertmaßstäben der sie entwickelnden Personen beeinflusst werden, sondern auch unmittelbar in Zusammenhang mit bestehenden Machtverhältnissen – politisch und/oder wirtschaftlich – stehen. Somit gilt es hier ebenso zu prüfen, inwiefern Leitbilder auch tatsächlich qualitätsvolle Handlungsfreiräume für NutzerInnen herstellen bzw. inwiefern die Bedürfnisse der NutzerInnen sowie ihre Nutzungsansprüche an den Raum befriedigt werden (vgl. HESSE 20142: 8). Da Vorstellungen und Leitbilder keine fixen Konstanten sind, sondern eben von Machtverhältnissen und vom Stand des Wissens beeinflusst werden, ist auch die imaginäre Ebene veränderbar.

Die symbolische Ebene strukturiert die reale und die imaginäre Ebene. Sie beschreibt und interpretiert Denkstrukturen von PlanerInnen und Handelnden, welche sich in der Realität, in Bildern und Vorstellungen manifestieren (vgl. DAMYANOVIC 2007: 44). Damit ist sie die wertegebende Ebene. Klarer wird dies, wenn auf das Beispiel der Subsistenz zurückgegriffen wird: Welcher Wert und welche Bedeutung der Subsistenz spätestens auf der real sichtbaren Ebene zugesprochen wird/wurde, ist bereits auf der symbolischen Ebene angelegt (vgl. KÖLZER 2006: 66). Ebenso hier kann davon ausgegangen werden, dass auch die symbolische Ordnung keine Konstante ist. DenkerInnen der Philosophie der sexuellen Differenz gebrauchen für den Umwertungsprozess „den Begriff der ‚Arbeit am Symbolischen‘.“ (ebd.: 52).

Die folgende Abbildung (Abb.1) verdeutlicht abschließend den Zusammenhang des strukturalistischen Ansatzes mit Theorie und Praxis in der Landschafts- und Freiraumplanung. 




Übereinstimmungen mit dieser strukturalistischen Betrachtungsweise finden sich in den Arbeiten Henri Lefèbvres wieder (siehe HENRI LEFÈBVRE 1974: „La production de l‘espace“). Dieser wird als eine der Hauptfiguren des „Spatial Turns“ bezeichnet, wobei der Spatial Turn selbst überwiegend als Wende in der Art wie Räume gedacht werden verstanden wird (vgl. RÖSSEL 2014: 19f).

„‘Die räumliche Praxis einer Gesellschaft bringt ihren Raum hervor; sie setzt ihn und setzt ihn voraus, in dialektischer Wechselbeziehung; langsam, aber bestimmt erzeugt sie ihn, beherrscht ihn und eignet sich ihn an. Um die räumliche Praxis einer Gesellschaft zu entdecken und zu analysieren, muss man ihren Raum entziffern‘ (pe: 48, übersetzt nach PRIGGE 1991: 104).“ (SCHMID 2005: 210).

Gemäß Lefèbvres Theorie wird Raum also prozesshaft gesellschaftlich produziert und ist der soziale Raum ein soziales Produkt. In diese Theorie bezieht Lefèbvre auch AkteurInnen räumlicher Planung mit ein (vgl. TERLINDEN 2010: 72, DÜNNE und GÜNZEL 2006: 330). Kennzeichen dieses räumlichen Produktionsprozesses sind nach Lefèbvre drei dialektisch verbundene Dimensionen (vgl. TERLINDEN 2010: 73): 

  • Die räumliche Praxis einer Gesellschaft bringt materielle Produktion hervor, also den von Menschen wahrgenommenen physischen Raum (espace perçu). Dieser findet sein Äquivalent in der realen Ebene.
  • Durch wissenschaftliche und künstlerische Produktion in Form gedachte und konzipierte Räume erzeugen den mentalen Raum der Mathematik bzw. besonders den konzipierten Raum planerischer Konzepte (espace conçu). Dieser findet sein Äquivalent in der imaginären Ebene.
  • Durch Vermittlung von Bildern und Symbolen und Repräsentationen alltäglichen Handelns produzierte Räume bringen den erlebten und gelebten Raum hervor (espace vécu). Dieser legt sich über den von den Menschen wahrgenommenen physischen Raum und benutzt die darin enthaltenen Objekte symbolisch. Als sein Äquivalent kann die symbolische Ebene betrachtet werden (vgl. DÜNNE und GÜNZEL 2006: 335f, TERLINDEN 2010: 73, EIGENE ERWEITERUNG 2014).

Dadurch wird ersichtlich, dass der Produktion sozialen Raums soziale Praxis vorausgeht und auch Voraussetzung dafür ist. Voraussetzung für soziale Praxis wiederum das Einsetzen des Körpers (Gebrauch der Hände etc.) (vgl. DÜNNE und GÜNZEL 2006: 337).
In direktem Zusammenhang mit dieser Produktion sozialen Raums stehen drei Aspekte: Wahrnehmen bzw. Wahrgenommenes (Raumpraxis der realen Ebene), Konzipieren bzw. Konzipiertes (Raumrepräsentation der imaginäre Ebene) und Erleben bzw. Erlebtes bzw. Gelebtes (Repräsentationsräume der symbolische Ebene) (vgl. SCHMID 2005: 210, DÜNNE und GÜNZEL 2006: 338, EIGENE ERWEITERUNG 2014). 

Räumliche Praxis umfasst „Produktion und Reproduktion, spezielle Orte und Gesamträume, die jeder sozialen Formation eigen sind, und sichert die Kontinuität in einem relevanten Zusammenhalt. Dieser Zusammenhalt impliziert in Bezug auf den sozialen Raum und den Bezug jedes Mitglieds dieser Gesellschaft zu seinem Raum sowohl eine gewisse Kompetenz als auch eine bestimmte Performanz“ (DÜNNE und GÜNZEL 2006: 333). Beide Begriffe wurden der Linguistik nach der Verwendung Noam Chomskys entlehnt (vgl. ebd.), in der Kompetenz als das im Spracherwerbsprozess erworbene und so zur Verfügung stehende Wissen über das System von Regeln und Prinzipien verstanden wird, und Performanz als den individuellen Gebrauch der Sprachkompetenz (vgl. WAGNER und HACKMACK 1997: 13).

Raumrepräsentationen, d.h. konzipierte Räume, sind mit den Produktionsverhältnissen, mit der sie durchsetzenden Ordnung verbunden und damit u.a. auch mit Kenntnissen, Zeichen oder Codes. Dadurch sind sie von einem Wissen durchdrungen, das stets relativ und veränderbar ist. Das wiederum macht sie korrigierbar und in jedem Fall abstrakt. Solchermaßen charakterisiert stellen Raumrepräsentationen einen Teil sozialer und politischer Praxis dar (vgl. DÜNNE und GÜNZEL 2006: 333, 339). 

Repräsentationsräume, d.h. erlebte und gelebte Räume hingegen beinhalten das Imaginäre und das Symbolische. Ihr Ursprung liegt in der Geschichte eines Volkes sowie jedem dazugehörigen Individuum. Repräsentationsräume werden er- bzw. gelebt, weswegen ihr Kern von Emotionalität gekennzeichnet ist und sie zugleich die Zeit enthalten: Das Ich, das Haus, der Platz etc. sind Orte früher erlebter Situationen, also Orte des Leidens/der Leidenschaft und des Handels. Dadurch ist davon auszugehen, dass sich Raumrepräsentationen in räumliche Texturen bzw. Strukturen einfügen, welche vorangehend bereits von Kenntnissen und Ideologien geprägt wurden. Aus dieser Perspektive betrachtet, wird ihre beträchtliche Bedeutung klar und auch ihr spezifischer Einfluss auf die Raumproduktion. Letzteres erfolgt im Rahmen „des Bauens“, d.h. indem ein bauliches Projekt in einen räumlichen Kontext/eine räumliche Struktur eingefügt wird. Damit das bauliche Projekt, aber nicht als reine Errichtung eines bestimmten isolierten Baukörpers verstanden wird, bedarf es der Raumrepräsentationen – also Konzepten, die sich weder im Symbolischen noch im Imaginären verlieren (vgl. DÜNNE und GÜNZEL 2006: 339-340).
Meinem Verständnis nach lässt sich der physische Raum auf Grundlage des zuvor Zusammengetragenen wie folgt zusammenfassen: 

Der physische Raum (bzw. die reale Ebene) und seine real existierenden Strukturen werden durch die räumliche Praxis einer jeweiligen Gesellschaft produziert und reproduziert, wobei soziale Praxis der räumlichen Praxis vorausgeht und an sie auch wieder anschließt usw. Der physische Raum ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem physischen Naturraum. Letzterer wird vielmehr zu einer Art Kulisse für den vom Menschen hergestellten/produzierten Raum. Lefèbvres Ausfertigungen zu Folge ist daher der physische Raum ein sozialer Raum. Dieser wird jeweils in Abhängigkeit von den, eine spezifische Gesellschaft kennzeichnenden und nicht voneinander trennbaren Produktionsverhältnissen (Aufteilung und Organisation der Arbeit) und Reproduktionsverhältnissen (Beziehungen zwischen Geschlechtern, Altersstufen und die Organisationsweise der Familie) materialisiert (vgl. ebd.: 331). Bis zum Kapitalismus greifen diese zwei Verhältnisse ineinander, weswegen sie ebenso das Fortleben der Gesellschaft umfassen. Ab dem Kapitalismus bzw. Neokapitalismus greifen sogar drei Aspekte ineinander: Biologische Reproduktion (Familie), Reproduktion der Arbeitskraft (Arbeiterklasse als solche) und soziale Produktionsverhältnisse (Beziehungen, die für die kapitalistische Gesellschaft grundlegend sind). Verkompliziert wird dieser Sachverhalt dadurch, dass diese zwei bzw. drei Aspekte im Raum selbst enthalten sind (vgl. ebd.: 332). „Durch symbolische Repräsentationen hält er sie in einem Zustand der Koexistenz und des Zusammenhalts.“ (ebd.). 

Der konzipierte Raum (bzw. die imaginäre Ebene) bewirkt demnach eine Aufrechterhaltung oder Fortschreibung des physischen Raums, nicht zuletzt deswegen, weil in den physischen Raum die Machtverhältnisse der imaginären Ebene einfließen.

Der erlebte/gelebte Raum (bzw. die symbolische Ebene) kann in diesem Zusammenhang auch als Mittel zum Zweck verstanden werden. In ihm wird in gewisser Weise auch durch die Vermittlung von Bildern, Symbolen und Repräsentationen bestimmt, wie der physische Raum wahrgenommen wird und welche Handlungen er zulässt.
Daher, wie im strukturalistischen Ansatz erläutert und auch aus Lefèbvres Theorien heraus lesbar, ist die Analyse der symbolischen, der imaginären und der realen Ebene notwendig. Auch um sich der Zusammenhänge und Entstehungsprozesse bewusst zu werden, die letztlich den Ausgangspunkt für ein neues Planungskonzept bilden. 


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Abbildungsverzeichnis:
Abb. 1: Modell der strukturalistischen Arbeitsweise in der Landschafts- und Freiraumplanung.
EIGENE DARSTELLUNG (2014) verändert nach: DAMYANOVIC, Doris (2007): Der differenzierte Blick im gendergerechten Planungsprozess. In: ZOLL+ Österreichische Schriftenreihe für Landschaft und Freiraum (2007): Gendern. Ausgabe Nr. 10, 17. Jahrgang. Wien.



 


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